Erste Alltags-Anker
Von einer Familie, die nach Deutschland zurückgezogen ist, konnten wir einen großen Teil unserer Erstausstattung übernehmen…
31.10.2025 - Doro und Olli
Im Oktober gab es zwei große Meilensteine zu feiern: Wir sind in unser erstes eigenes Zuhause eingezogen und Sammy hat die Schule begonnen. Beides strukturiert unseren Alltag, was uns sehr hilft, aber es bergen sich auch einige neue Herausforderungen darin wie Hiragana lernen, Elternbriefe auf Japanisch verstehen oder passende Vorhänge zu finden und Schilder in Einrichtungs-Läden zu übersetzen.
Wir könnten anfangen unsere Blog-Posts weiter zu nummerieren, zwei Monate in Japan, drei Monate in Japan. Aber was wäre der Benefit daraus? Also, eine andere Überschrift braucht es. Was ist passiert in der letzten Zeit? Was ist so groß, dass es eine Überschrift werden kann über diesem Kapitel der letzten Wochen?
Sammys Klassenzimmer. Hier ist er mit 32 anderen Kindern in einer Klasse.
Einschulung!
Es sind einige „große“ Dinge passiert: Sammy hat plötzlich einen Platz in der Schule, unser Alltag ist plötzlich in ganz klare Schultage und Wochenenden aufgeteilt. Das gibt uns wirklich lang ersehnte Struktur und Halt. Und auf der anderen Seite bringt es ganz neue Herausforderungen. Damit ist nicht mal unbedingt die striktere Bettzeit am Abend gemeint, sondern: Wie füllt man bitte schön ein Datenschutzblatt auf Japanisch aus?
Weißes Shirt, blaue Hose und die aka-shiro Boshi, die weiß-rote Mütze, für den Sportunterricht.
Details und andere Anforderungen
Dinge, die ein Schulkind braucht, alle mit Namen beschriftet.
In japanischen Schulen wird darauf geachtet, dass jedes Ding, das ein Kind mitbringt, fein säuberlich mit Namen versehen ist. Das bedeutete, dass ich am Tag vor dem Schulstart teilweise mit, aber meistens ohne Sammy da saß und einen Stift nach dem anderen, jede Schere, Kleber, Radiergummi, jedes Heft einmal in der Hand hatte, um seinen Namen darauf zu schreiben. Die Grundschulen in Yokohama haben zwar keine generelle Schuluniform, aber trotzdem müssen auch die Hausschuhe, die von der Schule vorgegebene Sportkleidung eindeutig beschriftet sein. Im Vergleich zu deutschen Schulen, also das, was ich von Freundinnen und Freunden weiß, haben wir hier auch Dinge, die gibt’s so in Deutschland nicht: Jedes Kind hat für den Sportunterricht eine zweifarbige Wende-Kappe, die „aka-shiro bōshi“, wörtlich: rot-weiße Kappy. Wozu das ziemlich praktisch ist: Die Kinder können so recht leicht in zwei Gruppen eingeteilt werden: Die rote Gruppe und die weiße Gruppe. Keine Leibchen, keine Bänder, einfach Mützen.
Das Fach für Sammys Schuhe. Oben die Hausschuhe, die er in dem Moment anhatte, unten die “Draußen Schuhe” für den Weg nach Hause oder auch Sport auf dem Platz vor der Schule…
Unser erstes Schul-Event
Gleich an „unserem“ ersten Schul-Wochenende war „Undokai“, d.h. Sporttag. Mit den bekannten Bundesjugendspielen ist das nicht zu vergleichen. Zum einen sind alle Eltern, Großeltern und weitere Familie eingeladen mit dabei zu sein und anzufeuern. Alle Klassen waren eingeteilt in rot und weiß, wieder leicht einzuteilen anhand der aka-shiro bōshi. Der ganze Tag war dann ein großer Wettkampf, welche Farbe wohl gewinnt. Jeder Wettkampf zahlte quasi auf die Punkteliste ein, und wer gerade nicht dran war, hat das „eigene“ Team angefeuert. Auch die Wettkämpfe sind anders, spielerischer als ich es kannte: Neben der klassischen Leichtathletik-Disziplin eines Sprintlaufs gab es bei uns für die ersten Klassen eine Art abgewandelten Stopp-Tanz, eine anderes Klassen-Duell wurde im Seilziehen ausgetragen und eine höhere Klasse hatte eine Team-Aufgabe zu lösen, dem wirklich alle gefordert waren mitzumachen.
Undokai, das Sportfest im Herbst, bei dem die ganze Schule in zwei Teams in verschiedenen Spielen und Wettkämpfen gegeneinander antritt.
Unser neues Zuhause
Der erste Blick auf unser Zuhause, laut Elly das “rote Haus”
Eine zweite „große“ Sache ist: Wir haben ein Zuhause gefunden! Die kleine Doppelhaushälfte hatte zwar eigentlich schon einen Bewerber vor uns (und was Wohnungen angeht, gilt hier das Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“), weshalb wir gezögert hatten, unsere Bewerbung auch in den Ring zu werfen. An der Stelle ist zu erwähnen, dass man pro Makler nur eine Bewerbung für ein Haus oder eine Wohnung platzieren kann. Und wir waren uns unsicher, ob wir mit dieser Bewerbung uns so klug verhalten, denn man weiß nie, ob nicht innerhalb der nächsten Tage dann plötzlich ein anderes gutes oder besseres Haus auf dem Markt kommt.
Erste Momente in unserem sonnengefluteten Wohnzimmer
Unfreiwilliger Minimalismus
Die andere Partei muss ihre Bewerbung zurückgezogen haben oder in der externen „Prüfung“ durchgefallen sein, jedenfalls war die Wohnung wieder frei und wir konnten Anfang Oktober die Verträge unterschreiben. Bis zu unserem Einzug hat es dann aber noch ein paar Tage länger gedauert, denn… zum einen haben wir kein Auto und waren auf Freunde angewiesen, unser Hab und Gut zu transportieren, aber noch viel ausschlaggebender war: Wir hatten keinen Kühlschrank. Es war zwar lang nicht mehr so heiß wie bei unserer Ankunft im August, aber glücklicherweise noch warm genug, dass wir den brauchen. Als wir die Anschaffung aber dann tätigen konnten und von Freunden, die nach Deutschland zurückgezogen waren, Betten, Tisch und Stühle, Küchen-Grundausstattung und noch einiges mehr bekommen haben, sind wir Mitte Oktober in unser neues, endlich eigenes Zuhause eingezogen. Noch haben wir lang nicht alles, was wir uns wünschen, aber nach und nach, Tag für Tag kommen wir voran. Wir haben ein Dach überm Kopf, Betten zum Schlafen, Kühlschrank und Waschmaschine (die kann sogar bis 30 Grad waschen, was in Japan untypisch ist), warmes Wasser, einen Herd zum Kochen… Immer noch Grund dankbar zu sein und zu bleiben.
Unser fancy Kühlschrank… er kann sogar selber Eiswürfel machen… Im Moment ist er noch größer als wir ihn brauchen, aber wir haben hoffentlich im heißen Sommer Platz genug…
Neue Freiheiten
Trotzdem freuen wir uns, wenn morgen unser Wasserkocher einzieht, ein Regal in der Küche dazu kommt, damit unsere Vorräte nicht in Klappboxen auf dem Boden stehen, wir nächste Woche Internet bekommen und hoffentlich bald mit Vorhängen nicht tagsüber Teile der Rollläden unten lassen müssen. Noch leben wir aus den Koffern, Schränke oder Kommoden haben wir noch nicht. Aber auch hier merken wir, dass wir so sehr im Überfluss leben, weil jeder von uns mindestens einen großen Koffer voller Kleidung hat. Klar, die saisonale Kleidung Sommer- und Winterkleidung ist da mit drin, aber so oder so haben wir mehr als genug! Wir haben so viel Platz, dass wir im Moment ein ganzes Zimmer nur dafür entbehren können. Die Kinder lieben es, auf unseren zwei Parkplätzen vor dem Haus Roller zu fahren oder Kreide zu malen. Da sie Elly über den Zaun heben, können sie auch von dort aus in den kleinen Garten, der unseren Hausteil umgibt und Steine sammeln, Seile spannen oder Seifenblasen fangen.
“Unser” Hof, da kann man schön Rennen im Kreis fahren…
Quasi ein Arbeitszimmer!
Olli hat übrigens schnell ein Co-Working-Space gefunden, das fußläufig zu erreichen und sehr gut ausgestattet ist. Er kann dort sehr gut arbeiten, und es entlastet uns gerade sehr, weil wir zu Hause noch an einigen Baustellen die nächsten Tage und Wochen zu arbeiten haben und die Arbeit so ihren Platz gefunden hat.
Ein Blick in Ollis Shared Office, ein Co-Working Space, ca. 15 Minuten zu Fuß von zuhause…
Es ist verrückt, wie sehr sich unser Leben in den letzten Wochen verändert hat. Wenn ich hier zum Einkaufen gehe und mein Blick über die Häuser und Landschaft hier streift, muss ich mich manchmal kneifen, dass das hier echt ist. Dass Sammy „wirklich“ an einer japanischen Schule Hiragana (japanische Silbenschrift bestehen aus 46 Zeichen) schreiben lernt, dass wir in einem „eigenen“ Haus wohnen, mit Gasherd, Genkan (Eingangsbereich) und Ōfuro, dem japanischen Bad (quasi eine Nasszelle zum Duschen und Baden)
Heimweh über Kontinente hinweg
Gleichzeitig zu wissen, dass wir - vor allem - Menschen aus unseren Stationen vor Japan vermissen, schmerzt uns alle. Oft haben die Kinder uns schon gefragt wann wir den einen Freund wieder besuchen können oder ob nicht die eine oder andere Person zu Besuch kommen könnte. Aaron hat vor kurzem den Wunsch geäußert mal wieder Schwimmen zu gehen, in seinem Lieblings-Schwimmbad in Starnberg.
Zusätzlich zur Distanz in Kilometern kommt die Zeitverschiebung, die durch die Uhrumstellung in Deutschland nochmal um eine Stunde verlängert wurde. Jetzt sind es acht statt sieben Stunden, die wir voraus sind. Am Leben unserer Lieben teilzuhaben, ist so schwer. Wenn wir schlafen, läuft dort der Tag. Wenn unser Morgen gerade wieder ruhig wird, weil alle gefrühstückt haben, schläft ganz Deutschland, hoffentlich! Dann, wenn es bei uns wieder hektisch wird, weil der Abend kommt, wäre eigentlich eine gute Zeit, um auch zu telefonieren, aber... dann ist’s doch schon wieder spät und der Alltag knabbert an unseren Kommunikationsbrücken.
Momente, in denen wir gerne Freunde mit dabei hätten…
In allem dankbar!
Wir sind sehr dankbar und wir sind so gesegnet. Wir vermissen unser altes Zuhause, unsere Freunde und Familien, freuen uns gleichzeitig auch darüber, dass wir diesen mutigen Schritt gegangen sind und unser Leben etwa 9.300km von München entfernt in Yokohama fortsetzen dürfen. Auch wenn die letzten Monate sehr kräftezehrend waren und auch noch sind, birgt dieser Schritt großes Potential für jeden einzelnen von uns und für uns als Familie. In Japan zu leben ist an einigen Stellen noch herausfordernd, aber wir gewöhnen uns immer mehr an diesen neuen Alltag. Hier zu sein ist ein Privileg und Geschenk.
Endlich Zeit aus den vielen Kartons in vielen Stunden harter Arbeit ein Haus im Haus zu bauen…
Wir wünschen uns, dass wir auch in der Kirche viel mitnehmen und lernen und gleichzeitig auch unsere Stärken und Erfahrungen beitragen können; sobald wir uns mal richtig eingerichtet und eingelebt haben. Dazu an anderer Stelle mehr.